Tagesanzeiger. Die bislang grösste alpine Solaranlage der Schweiz befindet sich in den Glarner Alpen, an der Muttsee-Staumauer auf 2500 Metern Höhe. Nun plant die Axpo im Kanton Glarus ihr zweites alpines Solarprojekt. Der Stromkonzern informiert heute Donnerstag die Öffentlichkeit darüber.
Die neue Anlage soll östlich des Urner Bodens in der Nähe von Braunwald gebaut werden, an einem Südhang auf 1500 Metern, auf einer Fläche von umgerechnet 13 Fussballfeldern. Die erwartete Produktion: 13 Gigawattstunden pro Jahr, Strom für 3000 Haushalte.
Es ist das sechste alpine Solarprojekt, das die Axpo in den letzten Monaten angekündigt hat. Vier liegen im Kanton Graubünden, eines in Schwyz. «Wir treiben die nachhaltige Energiegewinnung in der Schweiz weiter voran», sagt Axpo-Sprecherin Jeanette Schranz.
Die Zeit drängt
Die Solarparks sollen insbesondere im Winter Strom liefern, wenn die Schweiz jeweils auf Importe angewiesen ist. In höheren Gebieten produzieren sie während dieser Zeit etwa drei- bis fünfmal mehr Strom als vergleichbare Anlagen im Mittelland, weil sie oft über dem Nebel liegen und von der Schneereflexion profitieren.
Auch andere Energieversorger wollen vorwärtsmachen. Nicht zufällig. Vor einem Jahr hat das Parlament in Bern unter dem Eindruck eines möglichen Strommangels im Winter den Solarexpress beschlossen – ein dringliches Gesetz, das grosse Solaranlagen in den Bergen überhaupt erst möglich machen soll. Mittlerweile liegen mindestens 46 Projekte vor. Das zeigt eine aktualisierte Liste, die der Dachverband der Stromwirtschaft VSE auf Basis von Rückmeldungen von Energieversorgern und Medienberichten führt.
Wie viele der Vorhaben davon realisiert werden, ist allerdings unklar; die meisten befinden sich erst in der Projektierung. Doch die Zeit drängt: Bis Ende 2025 müssen die Anlagen ersten Strom liefern, sonst erhalten sie vom Bund keine Fördergelder, die bis zu 60 Prozent der anrechenbaren Investitionskosten betragen; so sieht es der Solarexpress vor.
Ohne dieses Geld rechnen sich die Projekte aber nicht. Jede Verzögerung kann daher das Aus bedeuten, allein schon das Risiko von Rekursen kann genügen, um Investoren abzuschrecken, wie das Beispiel der Anlage Berninasolar am Berninapass zeigt.
«Es ist für die zukünftige Versorgung sehr ungünstig, wenn Projekte gestoppt werden.»
Der Verband VSE hält das für problematisch. «Es ist für die zukünftige Versorgung sehr ungünstig, wenn Projekte gestoppt oder gar nicht erst geplant werden, weil die Frist zu kurz ist», sagt Sprecherin Claudia Egli. Auch nach 2025 werde der Bedarf nach solchen Anlagen bestehen. Der Verband fordert daher eine Fristverlängerung – eine Lösung, für die auch Parlamentarier aus FDP, Mitte und SP offen sind.
Die Herausforderung bliebe allerdings auch so gross. Wegen der Dekarbonisierung von Verkehr und Gebäuden wird die Schweiz künftig etwa 80 Terawattstunden (TWh) Strom pro Jahr benötigen, rund 20 mehr als bislang. Hinzu kommen die Folgen des vom Stimmvolk beschlossenen Atomausstiegs: Es fallen mittelfristig weitere gut 20 TWh weg. Insgesamt beträgt die Lücke also etwa 40 TWh.
Werden nun alle 46 alpinen Solarprojekte realisiert, ergibt dies erst ein Plus von 1,1 TWh pro Jahr, die Lücke wird also nur unwesentlich kleiner. Wichtig ist deshalb auch der Ausbau der anderen erneuerbaren Energien. Gemäss VSE-Liste sind weitere 68 Projekte in der Pipeline, der Grossteil aus dem Bereich der Wasserkraft, wo bestehende Stauseen erhöht oder neue gebaut werden sollen.
Insgesamt figurieren 114 Projekte auf der VSE-Liste. Werden alle umgesetzt, sollen sie dereinst pro Jahr 4,5 TWh zusätzlichen Strom erzeugen, davon 3,5 TWh im Winter. Dieser Beitrag in den kalten Monaten ist relevant: In den letzten zehn Wintern hat die Schweiz im Durchschnitt 4 TWh importiert (allerdings sind die Schwankungen von Jahr zu Jahr beträchtlich).
Nur: Um die erwähnte Lücke von 40 TWh zu füllen, reichen diese 114 Projekte bei weitem nicht aus. Zumal auch hier unklar ist, welche letztlich umgesetzt werden. Zwar bestehen im Parlament Pläne, Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren für grosse Anlagen zu straffen sowie den Planungsprozess für den Ausbau des Stromnetzes zu vereinfachen. Doch der Widerstand von Umweltschützern wird damit kaum verschwinden. Offen ist auch, ob die beiden Geothermie-Projekte im Jura und in Luzern je Strom liefern werden.
Zumindest bei der Windkraft dürfte es nun etwas schneller vorwärtsgehen. Der Grund: Das Bundesgericht hat jüngst grünes Licht für die Windparks Montagne de Buttes in Neuenburg und Montagne de Tramelan im Berner Jura gegeben. Die beiden Windparks sollen dereinst etwa 0,13 TWh Strom liefern. Das ist so viel, wie die 47 Windanlagen in der Schweiz heute produzieren. Doch die Branche hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 mit 1000 Windanlagen jährlich rund 9 TWh Strom zu liefern, also etwa 30 Prozent des Potenzials, wie eine Studie des Bundes errechnet hat.
Geringeres Wachstum erwartet
Die Hoffnungen ruhen deshalb auf der Fotovoltaik, wo der Ausbau vergleichsweise schnell voranschreitet – allerdings nicht in Form alpiner Grossprojekte. Vielmehr schenkt die wachsende Summe der vielen Anlagen auf Hausdächern und an Fassaden ein. Letztes Jahr lieferte die Fotovoltaik knapp 4 TWh Strom, fast 1100 Megawatt Leistung wurde neu installiert.
Für heuer rechnet der Branchenverband Swissolar mit einem Plus von 1300 Megawatt Leistung. Auch im kommenden Jahr geht er von einem Wachstum aus, allerdings dürfte es geringer ausfallen als dieses Jahr. Dies unter anderem, weil der Sondereffekt aus dem Ukraine-Krieg nicht mehr so stark wirke, vor allem bei den privaten Bauherrschaften.
Neue Kernkraftwerke gefordert
Der Ausbau muss jedoch weiter an Tempo gewinnen. Ansonsten sind die Vorgaben der Politik kaum zu schaffen. Schon 2035 sollen gemäss National- und Ständerat 35 TWh Strom aus neuen erneuerbaren Energien stammen, davon der grösste Teil aus Solaranlagen, etwa siebenmal mehr Solarstrom als heute.
Kritiker bezweifeln, dass dieser Ausbau gelingen wird. Die SVP, sekundiert von der FDP, will daher den Neubau von Kernkraftwerken wieder ermöglichen. Sie ist nicht nur davon überzeugt, damit in Zukunft genügend bezahlbaren Strom im Winter zu haben. Gerade aus Sicht des Umwelt- und Landschaftsschutzes, sagt SVP-Nationalrat Christian Imark, seien neue Kernkraftwerke die «mit Abstand beste Lösung».