NZZ.
Dem Parlament konnte es diesen Herbst nicht schnell genug gehen: Mit dem Herannahen eines Strommangels im Nacken winkten die beiden Räte ein Dringlichkeitsgesetz durch, das den Bau von grossen Solaranlagen im alpinen Raum überhaupt erst möglich macht. Produzieren diese im Winter mehr Strom als im Sommer, sollen sie von üppigen Fördergeldern und vereinfachten Bewilligungsverfahren profitieren. Einzige Voraussetzung: Sie müssen bis spätestens Ende 2025 Elektrizität liefern.
Seit der Hauruck-Aktion des Parlaments spriessen die Projektideen für Solaranlagen in den Alpen wie Pilze aus dem Boden. Vom Vispertal im Wallis bis ins Unterengadin: In praktisch allen Bergregionen des Landes sollen in den nächsten Jahren in grossen Mengen Solarpanels auf Alpweiden montiert werden. Gegen 40 solche Projekte liegen dem Vernehmen nach mittlerweile in den Schubladen der Stromkonzerne und Gemeinden.
«Schlicht nicht umsetzbar»
Doch nun befürchten die Kantone wie auch Vertreter der Stromwirtschaft, dass der Solarexpress vom Bundesrat ausgebremst werden und sich in einen Bummelzug verwandeln könnte. Sie üben teilweise scharfe Kritik an der vorgeschlagenen Verordnung des Bundesrats, die regelt, welche der geplanten Solarprojekte in den Genuss von Subventionen und Erleichterungen im Bewilligungsverfahren kommen sollen. «Der Vorschlag des Bundesrats ist schlicht nicht umsetzbar», kritisiert Jan Flückiger, Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Energiedirektoren.
Was die Kantone in Aufruhr versetzt: Die neuen Photovoltaik-Grossanlagen sollen nur so lange von den bürokratischen Erleichterungen und der Förderung profitieren können, bis ihre Produktion 2 Terawattstunden erreicht, was gut 3 Prozent der Schweizer Stromproduktion entspricht. Wird diese Schwelle überschritten, weil bereits genug neue Anlagen in Betrieb sind, will der Bund die Reissleine ziehen. Selbst Solarparks, die bereits bewilligt wurden oder sich gar schon im Bau befinden, sollen dann nicht mehr fertiggestellt werden dürfen.
Falle die Guillotine für die Solarprojekte so früh, werde aufgrund der fehlenden Rechtssicherheit kaum jemand das Risiko eingehen, solche Anlagen zu planen und zu realisieren, sagt Flückiger warnend. «Man stelle sich vor: Das teure Material wurde beschafft und auf die Baustelle transportiert, und dann wird mitten im Bau die Bewilligung entzogen. Das geht doch nicht.» Die Kantone fordern deshalb, dass bereits genehmigten Projekten die Bewilligung nicht wieder entzogen werden kann. Der Bund sieht derweil das Parlament in der Verantwortung: Es sei an ihm, eine Übergangsregelung für weit fortgeschrittene Projekte zu finden, wenn sich abzeichne, dass die Schwelle von 2 Terawattstunden überschritten werde.
Auch die Stromwirtschaft ist wenig angetan vom vorgeschlagenen Weg des Bundesrats. Es gebe noch sehr viele Unsicherheiten, sowohl hinsichtlich der Verfahren als auch hinsichtlich der Art und Weise der Förderung, sagt Claudia Egli, Sprecherin des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Es bestehe die Gefahr, dass die Solarprojekte in den Bergen doch noch ausgebremst würden.
Neben den verfahrensbedingten Unsicherheiten macht der Strombranche auch der grosse Zeitdruck zu schaffen. Gemäss Verordnung müssen die Solarparks in den Bergen bis Ende 2025 mindestens 10 Prozent der Gesamtleistung ins Netz einspeisen. Gelingt dies nicht, bleibt ihnen die Einmalvergütung verwehrt. Danach müssen die restlichen 90 Prozent der Anlage innerhalb von drei Jahren fertiggestellt werden. Sehr sportlich sei dieser Zeitplan, findet die VSE-Sprecherin Egli. Denn trotz beschleunigten Verfahren könnten Beschwerden von Umweltorganisationen nicht ausgeschlossen werden. Dies erst recht nicht, weil das Problem nicht nur die Anlagen selbst betreffe, sondern auch die Anschlussleitungen.
Finanziell weniger attraktiv
Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die Stromkonzerne und Gemeinden wohl auch finanziell zurückbuchstabieren müssen. Sie gingen ursprünglich davon aus, dass gegen 60 Prozent der Investitionskosten vergütet werden; selbst Solarparks an ungünstigen Standorten hätten so wirtschaftlich betrieben werden können. Nun jedoch sollen gemäss Bundesrat nur noch die ungedeckten Kosten übernommen werden, die während der Nutzungsdauer von 30 Jahren anfallen. «Ich vermute, dass dieses Fördermodell finanziell weniger attraktiv sein wird», konstatiert Jürg Rohrer, Professor für erneuerbare Energien an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Entscheidend sei allerdings, wie hoch der Strompreis veranschlagt werde, der in die Wirtschaftlichkeitsrechnung einfliesse.
Der Wissenschafter, der oberhalb von Davos die landesweit bisher einzige Versuchsanlage für alpine Photovoltaik aufgestellt hat, zeigt sich enttäuscht von der vom Bundesrat vorgeschlagenen Umsetzung. «Schlimmstenfalls könnte die Förderung der alpinen Photovoltaikanlagen mit dem aktuellen Vorschlag zu einer Totgeburt werden.»
Rohrer hatte in den letzten Monaten dafür geweibelt, dass der Ausbau der Solarenergie in den Bergen angesichts der Vielzahl der Projekte gemäss klar definierten Kriterien geschieht. Dabei sollten nicht nur finanzielle Gesichtspunkte und die Wirtschaftlichkeit darüber entscheiden, ob ein Projekt gebaut wird, sondern auch ökologische Kriterien sowie die Belastung für die Landschaft. Der Bund möchte davon nichts wissen und setzt beim Ausbau auf das «First come, first served»-Prinzip. Rohrer hält dies für einen verhängnisvollen Fehler: «Dem Bund scheint es mit der Verordnung vor allem darum zu gehen, auf keinen Fall ein juristisches Risiko einzugehen. Hauptsache, allenfalls nicht geförderte Projekte könnten den Entscheid nicht vor Gericht anfechten.» Die rasche Realisierung der qualitativ besten Projekte stehe dagegen nicht im Vordergrund.
Umweltschützer wollen Klarheit
In dieselbe Kerbe schlägt Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz. Auch er vermisst klare Kriterien, nach denen die einzelnen Projekte im Voraus beurteilt werden können. So schliesse der Bund einzig aus, dass Solarmodule auf landwirtschaftlich genutzten Flächen installiert werden dürfen, was im hochalpinen Raum ohnehin nicht relevant sei.
Ungeklärt bleibe derweil, wie die Auswirkungen auf die Umwelt beim Ausbau der Photovoltaik in den Bergen minimiert werden könnten. Der Bund überlasse diese Frage den Kantonen, die ihrerseits von der Planungspflicht befreit seien und einfach das bewilligen müssten, was ihnen vorgesetzt werde.