NZZ. Spätestens seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar, wie wichtig eine stabile Energieversorgung und damit die Wasserkraft für die Schweiz ist. Für die Bergkantone, auf deren Gebiet die meisten Speicherseen liegen, ist das «weisse Gold» schon lange eine wichtige und vor allem nachhaltige wirtschaftliche Ressource. Uri ist mit einer jährlichen Stromproduktion von rund 1500 Gigawattstunden zwar kein Gigant in Sachen Wasserkraft, aber doch nicht zu unterschätzen. Vor allem aber liegen zahlreiche Wasserkraftwerke im Gotthardkanton, die wegen ihrer Lage an der Gotthardstrecke für das ganze Land von grosser Bedeutung sind.
Dazu gehört die sogenannte Reuss-Kaskade, bestehend aus den Kraftwerken Göschenen, Wassen und Amsteg. Nicht zuletzt um bei der Neuvergabe der Konzessionen dieser und anderer Kraftwerke in der Pole-Position zu sein, haben der Kanton Uri und die Korporation Uri nun die Aktienmehrheit am Elektrizitätswerk Altdorf Energie Uri (EWA) zurückgekauft. Bisher befand sich das Unternehmen zu 62 Prozent im Besitz des Stromversorgers CKW, einer Tochtergesellschaft der Axpo.
Investoren sind an Bord
Neu werden der Kanton Uri und die Korporation Uri mit 51 Prozent die Aktienmehrheit am Elektrizitätswerk EWA Energie Uri innehaben. Dies gaben Vertreter der beiden Körperschaften sowie der CKW-CEO Martin Schwab am Dienstag in Altdorf bekannt. Bisher war die öffentliche Hand mit 35 Prozent an dem Unternehmen beteiligt. Der Deal war nicht einfach über die Bühne zu bringen und kam erst nach mehrjährigen Verhandlungen zustande. Umso erleichterter zeigte sich der Landammann Urs Janett (FDP) darüber, dass das EWA nach fast 115 Jahren Fremdbesitz wieder mehrheitlich in Urner Hand ist. «Die Wertschöpfung aus den neu zu vergebenden Konzessionen wird damit vor allem im Kanton bleiben», erklärte der Urner Finanzdirektor.
Dass es mit der Wasserkraft nicht wenig zu verdienen gibt, zeigt die Tatsache, dass mit der Swiss Life ein institutioneller Investor mit an Bord ist. Der Fonds Swiss Life Asset Managers kauft 34 Prozent der Aktien. Die CKW kassierte für den Verkauf insgesamt 180 Millionen Franken. Die Axpo-Tochter hält weiterhin 10 Prozent des Aktienkapitals der EWA Energie Uri. Der Zeitpunkt des Rückkaufs ist keineswegs zufällig. In den nächsten Jahren läuft ein Grossteil der Konzessionen aus, die die Standortkantone oder -gemeinden vor Jahrzehnten an den Stromversorger erteilt haben. Es kommt zum sogenannten Heimfall. Sämtliche Staumauern, Stollen und Turbinen fallen damit an den Konzessionsgeber zurück, sprich an die Gemeinden und die Kantone.
Für Uri ist der Zeitdruck gross, eröffnet sich doch mit dem Heimfall des Kraftwerks Lucendro bereits Ende 2024 die Gelegenheit, eine zusätzliche Beteiligung an EWA Energie Uri einzufordern. Zurzeit streiten sich die Urner mit den Tessinern, auf deren Gebiet der Lucendro-Stausee liegt. Beide Kantone beanspruchen die Mehrheit dieses Kraftwerks für sich. Uri argumentiert, 55 Prozent des Wassers, das im Kraftwerk genutzt werde, stamme aus dem Einzugsgebiet der Gotthardreuss. Der Fall liegt inzwischen beim Departement von Energieminister Albert Rösti, das in dieser Angelegenheit Schiedsrichter spielen muss.
Die SBB nutzen den Strom
Die nächste grosse Gelegenheit, mehr am Rohstoff Wasser zu verdienen, bietet sich Uri im Jahr 2043. Dannzumal steht die Erneuerung der Konzession zur Reuss-Kaskade und der Unteralpreuss an. Im Hinblick auf diesen Zeitpunkt will sich der Kanton Uri in eine möglichst gute Position bringen, um mit den SBB auf Augenhöhe verhandeln zu können. Rund 65 Prozent der Urner Stromproduktion wird nämlich von den SBB genutzt. Die Kraftwerke Wassen und Amsteg befinden sich zurzeit zu 100 Prozent in ihrem Besitz, das KW Göschenen zu 55 Prozent.
Die Bundesbahnen befinden sich bei der Neuvergabe dieser Konzession in einer starken Position. Sie können nämlich die sogenannte Inanspruchnahme nach Artikel 12 des Wasserrechtsgesetzes des Bundes geltend machen. «Ich gehe davon aus, dass wir mit den SBB partnerschaftlich verhandeln werden», sagt Janett.
Auch andere Bergkantone bringen sich in Stellung, um beim Heimfall möglichst viele Kraftwerke zu verstaatlichen. Eine zentrale Rolle spielt das Wallis, das in Sachen Wasserkraft eine herausragende Stellung einnimmt. Zurzeit sind nur rund 20 Prozent der Produktion in Walliser Hand, der Rest der Erzeugungskapazitäten aus Wasserkraft gehört ausserkantonalen Akteuren. 2016 hat das Walliser Parlament einstimmig neue Gesetze beschlossen. Damit wird festgelegt, dass 30 Prozent eines Kraftwerks künftig an den Kanton, 30 Prozent an die weniger als zwei Dutzend Konzessionsgemeinden und maximal 40 Prozent an Partnerorganisationen gehen sollen.
In einer noch stärkeren Position sind das Tessin und Nidwalden. Die Azienda Elettrica Ticinese und das EW Nidwalden befinden sich zu je 100 Prozent in Staatsbesitz. Auch der Kanton Graubünden will künftig die Wasserkraft kontrollieren und 60 Prozent der heimfallenden Gesellschaften besitzen.