Tagesanzeiger.
- Bisher fuhren die Züge der SBB mit Strom aus Wasser- und Kernkraftwerken.
- Den Atomstrom wollen die SBB neu am Markt verkaufen und den Bahnbetrieb nur mit erneuerbarem Strom sichern.
- Das Vorhaben ist umstritten, nicht nur bei Atombefürwortern.
Die SBB machen ein Versprechen: Ab 1. Januar reisen ihre Kundinnen und Kunden «noch umweltfreundlicher als bisher», wie sie jüngst mitgeteilt haben. Ihre Züge verkehren ab dann mit Strom, «der vollständig aus erneuerbaren Quellen stammt».
Bis jetzt gewinnen die SBB rund 90 Prozent ihres Bahnstroms aus Wasserkraft. Der Rest stammt aus nuklearer und damit nicht erneuerbarer Quelle. Seit den 1970er-Jahren halten die SBB Anteile an der Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen, kurz Akeb; sie beziehen Strom vom Kernkraftwerk Leibstadt sowie von den französischen Atomanlagen Bugey und Cattenom.
Diesen Atomstrom wollen die SBB neu nicht mehr für den Bahnbetrieb nutzen, sondern am Strommarkt absetzen. Gleichzeitig wollen sie am Markt die entsprechende Menge an erneuerbarem Strom beschaffen, primär aus Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie – in der Schweiz sowie im restlichen Europa.
Dafür kaufen die SBB sogenannte Herkunftsnachweise für erneuerbaren Strom. Ab 2025 werde sämtlicher Strom, der für das Schweizer Bahnsystem eingesetzt werde, über solche Bescheinigungen fliessen, so die SBB. Die Herkunftsnachweise machen allerdings keine Aussage dazu, welcher Strom im Bahnnetz physisch effektiv fliesst und aus welchen Kraftwerken er kommt.
Das Signal, das die SBB aussenden, ist damit nicht zuletzt ein politisches. FDP-Ständerat Damian Müller wirft den SBB ein doppelbödiges Spiel vor: «Entweder sollen sie auf Atomstrom ganz verzichten, oder sie sollen öffentlich sagen, Atomstrom sei ein Witz.»
SBB schweigen zur Höhe der Mehrkosten
Wie viel das Vorhaben kostet, ist unklar. Die SBB sprechen vage von einem «finanziellen Mehraufwand», der im Vergleich «zu den gesamten Kosten der Bahnstrombereitstellung gering» sei. Die SBB wollen mit der skizzierten Neuerung einen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen leisten.
Der Plan ist umstritten. Atombefürworter argumentieren, auch Kernkraft sei klimafreundlich, der Weltklimarat sehe sie als ein Instrument zur Eindämmung des Klimawandels. «Das ist ein billiges Buebetrickli der SBB, um sich ein grünes Mäntelchen umhängen zu können», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen.
Ein breiter Strommix aus erneuerbaren Energien und Kernenergie sei die beste Kombination dafür, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Klimaziele einzuhalten. «Von einem Staatsbetrieb erwarte ich, dass man solche fundamentalen Zusammenhänge versteht.» Die SBB entgegnen, sie hätten sich bereits 2012 im Rahmen der Energiestrategie verpflichtet, ab 2025 nur noch erneuerbaren Bahnstrom zu verwenden.
Verkauf von AKW-Anteilen bis jetzt gescheitert
Vorbehalte bestehen auch in den Reihen der Atomgegner – allerdings wegen der Herkunftsnachweise. Ob diese einen Beitrag zu einer ökologischeren Stromversorgung leisten oder faktisch ein Greenwashing sind, hängt entscheidend davon ab, ob der Kauf in der Schweiz oder im restlichen Europa erfolgt; so sagt es Nils Epprecht, Geschäftsleiter der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).
Da die Zahl an Herkunftsnachweisen hierzulande «relativ eng begrenzt» sei, könne eine erhöhte Nachfrage zu einem Ausbau an Anlagen für erneuerbare Energien führen. «Europäisch gibt es jedoch viel zu viele Herkunftsnachweise, da hat der Kauf kaum Auswirkungen», so Epprecht. Wie das Verhältnis von Inland und Ausland sein wird, ist unklar; eine entsprechende Frage dieser Redaktion lassen die SBB offen.
Gesichert ist dagegen, dass die SBB bis auf weiteres auf ihrer Kernkraftbeteiligung sitzen bleiben. Dabei wollten sie bis 2019 zumindest eine erste Tranche ihrer Akeb-Anteile abstossen und bis 2025 das gesamte Paket. Doch die SBB sind bis jetzt ebenso erfolglos geblieben wie die Stadt Zürich, die 2020 mitteilen musste, dass sie ihre AKW-Anteile nicht loswird.
Die SBB erklären, das heutige Marktumfeld stehe einem Verkauf entgegen. Die Bewertungen der Kernkraftwerke seien mit grossen Unsicherheiten behaftet, auch was die Laufzeit und die Rückbaukosten betreffe, sagt Sprecherin Sabrina Schellenberg. Die SBB prüfen weiterhin Möglichkeiten zum Verkauf, zurzeit laufen laut Schellenberg aber keine Gespräche.
Für SES-Geschäftsleiter Nils Epprecht ist vor diesem Hintergrund klar: «Die einzig wirklich ökologische Lösung wäre, dass die SBB mit ihren Anteilen auf die Schliessung der entsprechenden AKW hinwirken würden.» Entsprechende Bemühungen sind aber nicht bekannt.
Noch weit vom Klimaziel entfernt
Unbesehen von der Atomfrage: Die Klimaziele der SBB sind ambitioniert. In zentralen Unternehmensbereichen kommen nach wie vor fossile Energien zum Einsatz, etwa bei den Gebäude- und Weichenheizungen oder einem Teil der Lokomotiven. Bis 2030 wollen die SBB ihre Treibhausgasemissionen um 50 Prozent reduzieren, dies gegenüber dem Stand von 2018. Bis 2040 müssen sie anstreben, ihre Emissionen auf mindestens netto null gesenkt zu haben; so sieht es das Klimaschutzgesetz vor, das die Stimmbevölkerung vor einem Jahr gutgeheissen hat.
Erreichen wollen die SBB die gesetzliche Vorgabe, indem sie bis 2040 über 90 Prozent der Emissionen direkt einsparen. Den Rest wollen sie mit sogenannten Negativemissionen kompensieren, etwa mit dem Entzug von CO2 aus der Atmosphäre. Wie ein Blick auf die Zahlen zeigt, ist der Weg zum Klimaziel aber noch weit. Bis Ende 2023 haben die SBB ihre Emissionen um gut 25 Prozent gesenkt; damit ist die Hälfte des 2030er-Ziels geschafft.