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Nach der Solar-Anbauschlacht die Windoffensive

NZZ. Windparks sind in der Schweiz hoch umstritten. Oft werden Anlagen durch Einsprachen und Rekurse jahrelang blockiert. Mitunter vergehen 20 Jahre und mehr zwischen Planung und Bau. Das hat Folgen: Der Anteil der Windenergie liegt in der Schweiz unter 1 Prozent. Dagegen produzieren die Länder der EU im Schnitt 15 Prozent ihres Stroms mit Windkraft. Auf Platz 1 liegt Deutschland. Die Schweiz hinkt den europäischen Nachbarn um gut 15 Jahre nach.

Dabei hätte die Windkraft auch hierzulande ein grosses Potenzial. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Energie von diesem Sommer schätzt, dass jährlich 30 Terawattstunden Strom aus Windenergie produziert werden könnten. Zum Vergleich: 2021 lag der Stromverbrauch der Schweiz bei 58 Terawattstunden. Zuvor ging der Bund lediglich von einem Potenzial von 4 Terawattstunden aus. Die Korrektur nach oben hat zwei Gründe. Einerseits bringt der technische Fortschritt einen höheren Ertrag pro Anlage. Andrerseits ist seit der früheren Studie inzwischen auch der Bau von Windanlagen in Wäldern möglich.

Strom im Winterhalbjahr

Attraktiv macht die Windkraft, dass sie zwei Drittel des Stroms im Winterhalbjahr liefert. Also dann, wenn Photovoltaikanlagen im Mittelland weniger Strom produzieren. Und die Schweiz mehr Strom für Heizung und Beleuchtung braucht. Inzwischen hat auch die Politik das Potenzial der Windkraft zur Reduktion der Winterstromlücke erkannt. In der Herbstsession versuchten Lobbyisten, die Windkraft dem Solar-Express anzuhängen. Beide Kammern hatten im vergangenen September in Windeseile die gesetzlichen Grundlagen für eine Solar-Offensive in den Alpen durchgepeitscht. Bis eine bestimmte Menge Leistung zugebaut ist, gelten stark verschlankte Bewilligungsverfahren.

Hürden vorübergehend senken

Ein grosser Schub für die Photovoltaik in einer einzigen Session: Da wollten die Windkraft-Befürworter nicht abseitsstehen. Doch es setzten sich jene durch, die das Fuder nicht überladen wollten. Die Umweltkommission des Nationalrats hat die Beschleunigung von Windprojekten in eine eigene parlamentarische Initiative ausgegliedert. Das Tempo bleibt indes hoch. Abermals in einem dringlichen Gesetz sollen rechtliche Hürden für Windanlagen vorübergehend gesenkt werden. Geplant ist, dass beide Kammern die Vorlage noch in diesem Jahr in der Wintersession verabschieden.

Am Dienstag hat nun die Umweltkommission des Ständerats dem Vorhaben grünes Licht erteilt, und zwar einstimmig. Die Kommission betont allerdings in einer Medienmitteilung, dass bei der Ausarbeitung des Erlassentwurfs die Vereinbarkeit der neuen gesetzlichen Bestimmungen mit der Rechtsordnung sorgfältig zu prüfen sei. Dies dürfte auch eine Reaktion sein auf die Kritik des Bundesamts für Justiz an der Vorlage zur alpinen Solar-Offensive. Die Bundesjuristen monierten, der Entwurf der Umweltkommission heble den verfassungsmässigen Natur- und Heimatschutz aus.

Bei der neuen Vorlage geht es um Windprojekte, die vom Bundesgericht grünes Licht für ihren Nutzungsplan erhalten haben. In diesem Fall soll der Nutzungsplan ausnahmsweise auch als Baubewilligung gelten. Gegen diese könnte dann nicht mehr rekurriert werden. Die Regelung soll so lange gelten, bis 1 Terawattstunde Strom zugebaut ist (im Vergleich zu 2021). Laut einer Übersicht des Branchenverbands Suisse-Éole hat das Bundesgericht bei vier Windparks Rekurse gegen den Nutzungsplan abgelehnt beziehungsweise diesen validiert. Dabei handelt es sich um die Projekte Grenchenberg, Eoljorat Sud und Sur Grati im Kanton Waadt sowie Crêt Meuron im Kanton Neuenburg. Die vier Windparks würden pro Jahr rund 180 Gigawattstunden Strom produzieren.

Weniger Engpässe bei Bauteilen

Das Projekt auf dem Grenchenberg beispielsweise startete bereits 2007 mit Windmessungen. Dem Nutzungsplan hat das Bundesgericht 2021, sieben Jahre nach der Eingabe, grünes Licht erteilt. Weiterhin hängig ist die 2015 eingereichte Baubewilligung. Mit der Beschleunigungsvorlage des Parlaments könnten die Windräder auf dem Grenchenberg schnell gebaut werden. Bei weiteren vier Projekten sind vor Bundesgericht Rekurse gegen die Nutzungsplanung hängig. Auch sie könnten dank der Vorlage gebaut werden, sobald die höchsten Richter in Lausanne entschieden haben. Von den verkürzten Verfahren profitieren nur Anlagen von nationalem Interesse. Sie müssen mindestens 20 Gigawattstunden Strom pro Jahr produzieren.

Zusammen dürften die acht Windparks pro Jahr rund 0,5 Terawattstunden Strom produzieren. Sie rechne mit einer Bauzeit von ein bis eineinhalb Jahren, sagt Mitte-Nationalrätin Priska Wismer und Vizepräsidentin von Suisse-Éole. Sie rechnet bei den Bauteilen mit weniger Engpässen als bei der Photovoltaik.

Reicht es bis Ende Jahr?

Noch ist allerdings ungewiss, ob das Parlament bereits in der kommenden Wintersession eine Windoffensive lanciert. Noch nicht entschieden ist die Frage, ob für das dringliche Gesetz eine eigene Vernehmlassung durchgeführt werden muss. Die Anhänger der Windkraft argumentieren, der Bundesrat habe diese Themen bereits bei seiner Beschleunigungsvorlage in die Anhörung geschickt. Allerdings sieht der Bundesrat andere Instrumente vor, um die Verfahren zu beschleunigen.

Die Umweltkommission des Nationalrats befasst sich Anfang nächster Woche mit diesen Fragen. Dabei dürfte sie sich auch die Meinung des Bundesamts für Justiz einholen. Falls eine Vernehmlassung notwendig ist, reicht die Zeit nicht mehr bis zur Wintersession. In diesem Fall kann das Parlament die Vorlage frühestens im März 2023 behandeln.

 
 
 
 
 

Quelle: NZZ

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