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Helfen Urbakterien bei der Energiewende?

NZZ.   Wasserstoff, dieses leichte und brennbare Gas, gilt als ein Energieträger der Zukunft. Aber noch mangelt es an vielem: Es fehlen grosse Speicher, Leitungen und vor allem Abnehmer. Denn Heizungen und Kraftwerke sind für den Erdgasbetrieb gebaut worden, nicht für den Betrieb mit Wasserstoff. Sie sind oft nicht «H2-ready», wie es im Fachjargon heisst.

Wissenschafter haben aber eine Alternative entdeckt. In tiefen Erdschichten lassen sie Wasserstoff von Mikroorganismen in Methan umwandeln, den Hauptbestandteil von Erdgas. So entsteht ein klimafreundlicher Ersatz für das fossile Gas, den die vorhandenen Geräte problemlos verbrennen können. Darauf angelegt hatten es die Fachleute des Speicherunternehmens RAG Austria nicht. Im Gegenteil: An einer leer geförderten Erdgaslagerstätte – solche Lagerstätten werden heute in etlichen Ländern als Speicher für Erdgas genutzt – wollten sie herausfinden, ob sich darin auch Wasserstoff lagern liesse.

Für einen Test pumpten sie vor gut zehn Jahren Wasserstoff in den Speicher Pilsbach in Oberösterreich: ein 20 Millionen Jahre alter Sandstein, der tausend Meter unter der Oberfläche liegt und während des Versuchs zwischen den Körnchen auch Erdgas enthielt. Nach einiger Zeit stellten die Fachleute überrascht fest, dass der Wasserstoff verschwunden war.

Sie fügten die Puzzleteile zusammen. In dem Speicher leben methanbildende Mikroorganismen, die sogenannten Archaeen. Sie haben den hinzukommenden Wasserstoff zusammen mit dem Kohlendioxid, das in den Erdgasresten enthalten ist, in Methan umgewandelt, den Hauptbestandteil von Erdgas. «Die Mikroorganismen leben seit Jahrmillionen in der Lagerstätte und haben nur auf Futter gewartet», sagt Benedikt Hasibar, Projektleiter bei der RAG Austria, rückblickend.

So ärgerlich die sogenannte Geomethanisierung im konkreten Fall für die Wasserstoffspeicherung war, so gross sind die Hoffnungen, die Forscher mittlerweile damit verbinden. Aus grünem Wasserstoff, entstanden durch die Elektrolyse mittels fossilfrei erzeugten Stroms, liesse sich im untertägigen Reaktor dank den Mikroorganismen und zugefügtem Kohlendioxid grünes Erdgas erzeugen. «Ich sehe darin eine Ergänzung zu Biogas, um den Bedarf klimafreundlich zu decken», sagt Hasibar.

Der Vorteil: Die vorhandene Gasinfrastruktur kann weiter genutzt und muss nicht für den Wasserstoffbetrieb umgerüstet werden. Was nicht heissen solle, dass der Wasserstoffpfad falsch sei, meint Hasibar. «Wir wollen uns flexibel halten und beides voranbringen.»

Um herauszufinden, was die Methanbildung unterstützt, erforscht die RAG Austria mit Partnern wie der Universität für Bodenkultur Wien die Prozesse im Untergrund. Massgeblich sind Temperaturen bis höchstens 80 Grad Celsius und ein pH-Wert über 6, der leicht saure Bedingungen anzeigt. Im Labor sei die Methanisierung bereits binnen einer Woche geschafft worden, berichtet Hasibar, im Speicher Pilsbach in ein bis zwei Monaten – mit bis zu 90 Prozent Effizienz.

Die längere Dauer im Naturreaktor hängt unter anderem mit dem Stofftransport im Sandstein zusammen, der komplexer ist als im Laborversuch. Doch das ist kaum problematisch. Die Speicher im Untergrund werden üblicherweise im Sommerhalbjahr befüllt und erst zum Winter hin wieder angezapft. So bleibt Zeit für die Methanbildung.

Kohlendioxid vom Stahlwerk

Im nächsten Schritt soll ein vollständiger Zyklus untersucht werden, wie er in einem klimafreundlichen Energiesystem ablaufen könnte. Das Kohlendioxid wird bei einem Stahlhersteller aus dem Abgas eingefangen und nach Pilsbach geschafft. Der Wasserstoff wird mittels Elektrolyse erzeugt, wobei der Strom von einem Wasserkraftwerk stammt. Aus den beiden Gasen sollen dann die Mikroorganismen Methan machen. Das wird schliesslich ins Erdgasnetz eingespeist.

Noch geschieht das im Forschungsmassstab. Wirtschaftlich ist die Methode bislang nicht. Dennoch hat sie grosses Interesse hervorgerufen. Der Zürcher Versorger Energie 360° beteiligte sich ab 2020 mit weiteren Schweizer Einrichtungen an einem Forschungsprojekt, um das Potenzial der Geomethanisierung besser zu fassen. Geologen der Universität Bern untersuchten, ob es auch in der Schweiz Gesteinsschichten gibt, die dafür infrage kämen.

«Anders als Österreich hat die Schweiz keine ausgeförderten Gaslagerstätten, die geeignet wären», sagt Simon Lerch, der das Vorhaben aufseiten Energie 360° geleitet hat. Überhaupt sei der Wissensstand über den tiefen Untergrund des Landes eher schwach ausgeprägt, weil die Erdgasindustrie ihn wenig erkundet habe. Anhand verfügbarer Bohrdaten erstellten die Forscher ein Modell des Untergrunds des sogenannten Molassebeckens, das am Nordrand der Alpen liegt. Dort identifizierten sie Gebiete mit vielversprechenden Schichten, zumindest auf dem Papier. Teure Erkundungsbohrungen, die den Verdacht bestätigen könnten, fanden nicht statt.

«In jedem Fall müssten neue Speicher eingerichtet werden, wollte man die Geomethanisierung hier etablieren», sagt Lerch. Die Kosten erreichten dabei rasch 100 Millionen Franken. Gewiss, ein solches Untertagereservoir brächte mehr Unabhängigkeit, sagt er. «Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist es aber viel günstiger, Speicher zu nutzen, die es bereits in Nachbarländern gibt, und von dort zu importieren.» Energie 360° habe sich daher entschieden, die Geomethanisierung vorerst nicht weiterzuverfolgen.

In Deutschland sind die Voraussetzungen besser. Dort gibt es Gasspeicher beziehungsweise ausgeförderte Lagerstätten, die dafür infrage kämen. Darauf weist Leonhard Ganzer hin, Leiter des Institute of Subsurface Energy Systems an der TU Clausthal, wo ebenfalls an der Geomethanisierung geforscht wird. Dabei zeigen sich jedoch einige Einschränkungen. «Die optimale Temperatur für die Methanbildner sind 35 bis 45 Grad, damit fallen Lagerstätten unter 2000 Meter Tiefe weg», sagt Ganzer. Weiter dürfe der Salzgehalt der Tiefenwässer nicht zu hoch sein, die Archaeen seien da empfindlich.

Sollte sich eine Schicht als geeignet erweisen, braucht es noch ein zweites Bohrloch. «In den heutigen Gasspeichern wird über eine Bohrung ein- und ausgespeichert», erklärt Ganzer. Um den Bioreaktor im Untergrund effektiv zu betreiben, seien zwei Bohrungen besser: Über die erste werden die Gase Wasserstoff und Kohlendioxid – im Verhältnis 4:1 – eingespeist, sie strömen durch die Porenräume und werden von den Mikroorganismen umgesetzt zu Methan, das aus der zweiten Bohrung gewonnen werden kann.

Der Mehraufwand könnte dennoch sinnvoll sein, sagt der Wissenschafter und meint nicht allein die bereits vorhandene Infrastruktur für Erdgas. «Der Brennwert von einem Kubikmeter Methan ist dreimal so gross wie bei Wasserstoff», sagt er. Das heisst, Letzterer erfordert dreimal so viel Speichervolumen. «Im Vergleich zu Erdgas kann der Betreiber eines Speichers bei Wasserstoff trotz ähnlich hohen Betriebskosten nur einen Bruchteil des Brennwerts verkaufen», erläutert Ganzer. Das spreche für Methan aus der Methanisierung im Untergrund.

Die höhere Speicherdichte von Methan hebt auch Hans Böhm vom Energieinstitut an der Johannes-Kepler-Universität Linz hervor. Man gehe davon aus, dass weiterhin grosse Mengen gasförmiger Energieträger benötigt würden und für manche Anwendung wie Hochtemperatur-Drehrohröfen Methan besser geeignet sei. Nachteilig sei allerdings, dass bei der Umwandlung von Wasserstoff in Methan rund 20 Prozent Energie verlorengehe. Hinzu komme die bereits erwähnte zweite Bohrung, die mit einem zweistelligen Millionenbetrag die Investitionskosten nach oben treibe. «Laut unseren Berechnungen ist die Geo­methanisierung damit 1,5- bis 2-mal so teuer wie eine katalytische Methanisierung in einer Chemieanlage», sagt Böhm.

Als saisonaler Speicher geeignet

In der gesamtwirtschaftlichen Sicht jedoch ist laut Böhm der Speichereffekt von Geomethan unbedingt zu berücksichtigen. «Wir werden auch künftig saisonale Speicher benötigen, in denen grosse Mengen lagern», sagt er. Diese Dienstleistung müsse ebenso bezahlt werden – und das mache die Geomethanisierung attraktiver.

Gegen fossiles Erdgas kommt die grüne Variante zumindest von den Kosten her noch lange nicht an. Das dürfte auch eine Zeitlang so bleiben, denn «der limitierende Faktor ist klimafreundlicher Strom, den es braucht, um Wasserstoff zu erzeugen», wie Benedikt Hasibar sagt.

Bei der RAG Austria, die einige Patente auf die Geomethanisierung hat, wird weiter daran geforscht und nach Verbesserungen gesucht. «Wenn der Bedarf da ist», sagt Benedikt Hasibar, «könnten wir binnen fünf bis sieben Jahren einen Speicher entsprechend ausrüsten, um Methan zu erzeugen.»

Quelle: NZZ

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