«Bereit mit anzupacken, wenn betriebswirtschaftliche Erfahrung und Gelassenheit gefragt sind.»

Juerg Loeffel, Senior Manager

News Monitor

Harte Knochenarbeit für die Energiewende

NZZ.

Entscheidend ist es, in die Knie zu gehen und den Rücken gerade zu halten. Alain Kabila ist Capitaine de Sécurité, ein Sicherheitsbeauftragter, in der Abbaustätte Kamilombe. Er erklärt in Swahili, der Verkehrssprache Ostafrikas, wie man richtig einen schweren Gegenstand aufhebt. Wie zum Beispiel einen mit Kobalterz gefüllten Sack, der 30 Kilogramm wiegen kann.

Jeden Montag gibt es in Kamilombe eine Sicherheitsschulung, die etwas surreal wirkt. Heute ist es zwar üblich, dass Sicherheit im Bergbau grossgeschrieben wird. Doch Kamilombe in Kongo-Kinshasa ist keine übliche Mine. Sie liegt im kongolesischen Teil des Kupfergürtels, der sich bis nach Sambia erstreckt, in der Nähe der Grossstadt Kolwezi. Und sie liegt in einer Grauzone. Es lässt sich darüber streiten, ob Kamilombe illegal ist, der Begriff informell trifft es auf alle Fälle.

Dilemma der Dekarbonisierung

Die Kupfer- und Kobaltmine befindet sich auf einem Konzessionsgebiet der staatlichen Bergbaugesellschaft Gécamines, die den sogenannten artisanalen Abbau toleriert, aber auch nicht mehr. Sie wird von der örtlichen Vereinigung Coopérative Minière pour le Développement et le Social (CDMS) betrieben. Die Mine ist eine von vielen Lagerstätten, auf denen Kleinbergbau in Kongo-Kinshasa betrieben wird. Artisanal und Kleinbergbau – die Begriffe sind verniedlichend: Es dreht sich darum, dass mit einfachen Geräten in händischer Arbeit Erze gefördert und zerkleinert werden. Es ist harte Knochenarbeit.

Die «Creuseurs», wie die Schürfer im frankofonen Land heissen, stehen für ein Dilemma. Sie arbeiten in prekären Verhältnissen, damit die Welt auf fossile Brennstoffe verzichten kann. Dies zeigt sich vor allem beim Abbau von Kobalt, einem der Metalle, die für die Energiewende unabdingbar sind. Kobalt steckt in den Batterien für Fahrzeuge, Laptops und Smartphones. Die Nachfrage nach Kobalt ist in den vergangenen Jahren explodiert, vor allem, weil stets mehr Elektroautos verkauft werden. Kongo-Kinshasa ist dabei mit Abstand der grösste Produzent der Welt, die Hälfte aller bekannten Reserven liegen dort.

Gemäss einem Marktbericht der Branchenvereinigung Cobalt Institute kamen im vergangenen Jahr 73 Prozent des Metalls aus dem zentralafrikanischen Land. Das meiste Metall wird dabei als Nebenprodukt in grossen Kupferminen abgebaut. Die Creuseurs sind aber ein wichtiger Faktor: Zwischen 15 und 30 Prozent der kongolesischen Mengen werden im informellen Bergbau gefördert. Das ist mitunter mehr als das Abbauvolumen Indonesiens, dem derzeit weltweit zweitgrössten Produzenten.

Kleine Minen sind aber gefährlich und belastend für die Umwelt, Kinderarbeit gehört zur traurigen Realität. Korruption und Gewalt sind allgegenwärtig. Für internationale Konzerne wie Apple, Samsung oder Volkswagen ist deshalb Kobalt aus dem Kleinbergbau ein Risiko für die Reputation. Kein Unternehmen möchte mit Kinderarbeit oder Minenunfällen in Verbindung gebracht werden. Dies führte dazu, dass zumindest oberflächlich das Metall aus dem informellen Bergbau verbannt wurde. Und dennoch ist dieser die Grundlage für das Überleben vieler Kongolesen.

In Kamilombe unterstützt die Brancheninitiative Fair Cobalt Alliance (FCA) die Kooperative CDMS dabei, dem Kleinbergbau eine professionelle Struktur zu geben, um dort die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen und die Einkommensaussichten zu verbessern. So werden die Sicherheitsbeauftragten von der FCA ausgebildet. Zudem soll die Lieferkette transparenter gestaltet werden, damit auch Technologie- und Autokonzerne ein geringes Risiko eingehen, wenn sie Kobalt oder Kupfer aus dem Kleinbergbau beziehen. Das ist zumindest der Plan.

Hohes Risiko, guter Verdienst

Der Weg zu einer aktiven Grube in Kamilombe führt durch eine Ansammlung von Wellblechbuden, die teilweise als Verkaufsstände für Essen, Getränke oder auch Kleidung dienen. Es geht über einen staubigen Weg vorbei an aufgelassenen Gruben und Schächten, die man in der Ferne sieht. Ein Verschlag aus Holz und Wellblech bietet Schutz für eine Grube. Im Inneren ist es dunkel. In der Tiefe ist ein Creuseur mit blauem Helm erkennbar. Solch ein Graben darf per Gesetz bis zu 30 Meter tief sein, zur Belüftung hängt ein Luftschlauch hinein. In der Gegend gibt es aber auch Schächte, die bis 100 Meter tief sind.

Bis zu 15 Bergleute arbeiten in einer Grube. Einer gräbt, einer füllt Säcke mit dem Erz, und die anderen bilden eine Kette und bringen das Material nach oben. Es ist schwere Arbeit, manche tragen in der Vorzeigegrube Helme und Schuhe, manche stehen barfuss am oberen Rand des Lochs. Die Bergleute wissen, was sie tun, sie tun es aber mit einfachen Mitteln. Sie gehen ein Risiko ein, weil sie relativ gut verdienen.

Kongo-Kinshasa ist eines der ärmsten Länder der Welt. Ein Lehrer oder eine Lehrerin verdient rund 100 Dollar im Monat, wenn Ende Monat auch tatsächlich der Lohn bezahlt wird. In der Mine können Männer von 500 Dollar bis zu 2000 Dollar verdienen, wenn sie zu Vorarbeitern aufsteigen. Und auch Frauen arbeiten in der Mine, häufig fällt ihnen die Rolle zu, Erze zu waschen, um den Kobaltgehalt zu erhöhen.

Eine Wäscherin erzählt, die Arbeit sei gut, sie könne dadurch ihre vielköpfige Familie unterstützen. Sie trägt eine Art Anglerhose, die sie vor dem verunreinigten Wasser schützt. Dass dieser Arbeitsschutz zur Verfügung gestellt wird, ist ein Teil des Programms, mit dem das Arbeiten in Kamilombe formalisiert werden soll. Sie verdiene pro Tag gut 5 bis 10 Dollar, sagt die Frau. Vor einiger Zeit sei es noch um ein Vielfaches mehr gewesen. Damals war der weltweite Kobaltpreis auch deutlich höher.

Dem Weltmarkt ausgesetzt

In einem Handelsdepot in der Mine stehen die Preise für Kobalt in Handschrift auf einem Plakat, der Preis ist abhängig vom Metallgehalt im Erz und richtet sich nach den Kursen an der Börse LME in London. Die Bergleute verdienen im Vergleich mit dem Rest des Landes gut, von den Erlösen, die am Weltmarkt für Kobalt erzielt werden, erhalten sie aber relativ wenig.

Die Finanzierung der Gruben, der Weiterverkauf und der Transport des Materials werden von mehreren Schichten an Mittelsmännern geprägt. Das Kobalt kommt auch auf verschlungenen Wegen an den Weltmarkt, vor allem nach China, wo Batterien für die gesamte Welt hergestellt werden. In Kamilombe sind es ebenfalls meist chinesische Händler, die das Kobalterz für Schmelzen im Land oder für den Export aufkaufen.

Beim Projekt der FCA, Kamilombe zu formalisieren, hatte zunächst auch das grosse chinesische Rohstoffunternehmen Huayou Cobalt teilgenommen und sich dazu verpflichtet, Kobalt aus dem Kleinbergbau zu beziehen. Mit der Zeit fühlten sich die Bergleute aber offenbar betrogen und revoltierten gegen die Händler von Huayou. Das Unternehmen zog sich zurück. Eingesprungen sind andere chinesische Zwischenhändler.

Derzeit arbeiten bis zu 6000 Personen in der informellen Mine, zu Beginn des Jahres waren es rund 7000, zu Spitzenzeiten wurden bis zu 15 000 Bergleute gezählt. Die Creuseurs reagieren schnell auf Preisveränderungen: Der derzeit niedrige Kobaltpreis führt dazu, dass verhältnismässig mehr Kupfer abgebaut wird. Manche suchen ihr Glück auch in Goldminen.

Den Kräften am Weltmarkt ist auch ein soziales Projekt von Kamilombe ausgesetzt. Stolz zeigen die Verantwortlichen der Kooperative CDMS ein Krankenhaus, was tatsächlich ungewöhnlich für eine informelle Mine ist. Das Ganze hat jedoch noch einen Haken: Die Ausstattung für das Spital fehlt, es mangelt an Geld wegen des schwankenden Kobaltpreises.

Verpasste Chance

So schwierig das Projekt ist, so sehr findet die Fair Cobalt Alliance auch Unterstützung von ungewohnter Seite. Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore und der chinesische Bergbauriese CMOC sind wie auch Google und Tesla Mitglied der Initiative. Glencore und CMOC setzen in Kongo-Kinshasa auf eine grossindustrielle, mechanisierte Förderung, um eine «saubere» Lieferkette beim Abbau von Kobalt ohne Kinderarbeit oder gefährliche Arbeitsbedingungen zu garantieren.

Glencore und CMOC unterstützen die Initiative finanziell. Ein Ankauf von Kobalt aus Kamilombe oder das Umsetzen solcher Projekte im eigenen Konzessionsgebiet sind jedoch nicht vorgesehen. Uneigennützig ist dies nicht: Solange Kobalt aus Kongo-Kinshasa mit Problemen und sozialen Missständen in Verbindung gebracht wird, besteht die Gefahr, dass die gesamten Metallexporte aus dem afrikanischen Land mit diesem Stigma behaftet sind. Zudem sind die grossen Minenbetreiber auch damit konfrontiert, dass Kleinschürfer in ihren Konzessionsgebieten nach Kobalt suchen.

Für die kongolesische Regierung ist das Problem bedeutend: Das Land exportiert beinahe ausschliesslich Rohstoffe, vor allem Kupfer und Kobalt. Die Staatseinnahmen hängen von den Launen der Rohstoffmärkte ab. Bis zu 300 000 Personen sollen im informellen Bergbau beschäftigt sein. Wenn noch die indirekt Beschäftigten und die Familienmitglieder der Creuseurs hinzugezählt werden, könnten gar bis zu 3 Millionen Personen vom Kleinbergbau abhängig sein – bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 96 Millionen.

Pilotprojekte wie in Kamilombe sollen helfen, das Dilemma der Kleinschürfer zu überwinden. Die kongolesische Regierung hat zudem zwei Initiativen gestartet, die aber nur schleppend anlaufen. Im Jahr 2019 wurde zunächst ein Handelszentrum bei Kolwezi errichtet, mithilfe dessen dubiose Zwischenhändler ausgeschlossen und die Lieferketten transparenter gemacht werden sollen.

Die Händler in den informellen Minen ähnelten Mafiosi, sagt Willy Yav, der vor rund sechs Monaten von der Regionalregierung in Kolwezi den Auftrag erhalten hat, das Handelszentrum zu leiten. Dabei soll nur mit Kobalt aus Kleinminen gehandelt werden, die bestimmte Auflagen erfüllen. Der Weg ist aber noch lang, das Zentrum ähnelt weiterhin einem Geisterdorf.

Vor einigen Jahren entstand ausserdem die Entreprise Générale du Cobalt (EGC), das Unternehmen soll ein Staatsmonopol zum Ankauf von Kobalt aus dem informellen Bergbau haben. Dadurch soll ebenso die Transparenz in der Lieferkette für Material aus dem informellen Bergbau erhöht werden. Ein Teil des Plans ist auch, dass das Kobalt von internationalen Akteuren wie dem Genfer Rohwarenhändler Trafigura an den Weltmarkt gebracht wird. Seit kurzem hat EGC, eine Tochter von Gécamines, einen neuen Chef, Eric Kalala, einen ehemaligen Manager des Logistikunternehmens Bolloré Africa Logistics. Kalala will aufs Tempo drücken. Es sei mehr als dringend voranzukommen.

In Kongo-Kinshasa wird bereits diskutiert, dass das Land die Möglichkeit verpassen könnte, vom Kobaltboom auf breiter Basis zu profitieren. Man träumt von einer Kobalt-Opec, über die die Preise diktiert werden könnten. Derzeit herrscht aber ein Überangebot mit einem entsprechend niedrigen Preis. Diese Situation könnte laut Analytikern noch mindestens zwei Jahre anhalten.

Mit Argusaugen verfolgen die Kongolesen den Aufstieg der Indonesier zu bedeutenden Kobaltproduzenten. Ihre grösste Sorge ist, dass ein altes Schicksal Afrikas fortgeschrieben wird: Die Böden sind voller Schätze, trotzdem bleiben die Menschen auf dem Kontinent arm.

Quelle: NZZ

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