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ENERGIE: Der Ein-Billion-Euro-Job: Deutschlands Pfad aus der Klimakrise

Cash. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben Deutschland in den letzten Jahren hunderte Milliarden Euro gekostet — allein die durch den russischen Einmarsch ausgelöste Energiekrise schlägt mit 260 Milliarden Euro zu Buche. Doch selbst diese gigantischen Summen werden bei weitem in den Schatten gestellt von den Kosten, die der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und die Umstellung auf erneuerbare Energien kosten werden. Ganz abgesehen von der Frage: Ist das zu schaffen?

Die Investitionen werden fällig für neue und bessere Stromnetze und für neue Anlagen zur Stromerzeugung, mit denen der höhere Bedarf durch elektrische Autos und Heizsysteme bei gleichzeitig wegfallender Produktion aus Kohle und Atomkraft gedeckt werden muss. Bloomberg beziffert die Kosten für Deutschland auf 1 Billion — in Ziffern: 1.000.000.000.000 — Euro in den acht Jahren bis 2030.

Bundeskanzler Olaf Scholz, der gerne den Vergleich zur industriellen Revolution bemüht, um die Dimension der bevorstehenden Energie-Umwälzung zu betonen, hat kürzlich vorgerechnet, dass täglich Sonnenkollektoren mit der Fläche von 43 Fußballfeldern online gehen müssen, um die Umstellung zu bewältigen. Im Jahr entspricht das beinahe der Fläche einer 75.000-Einwohner-Kleinstadt wie Marburg. Hinzu kämen 1.600 Wärmepumpen, die pro Tag installiert werden müssten. Pro Woche 27 neue Windkraftanlagen an Land und vier vor Nord- und Ostseeküste.

“Dies ist ein kühnes Unterfangen - vielleicht das kühnste Projekt seit dem zweiten Weltkrieg”, sagte der für Energie zuständige Vizekanzler Robert Habeck Anfang Februar. “Ich hoffe, Deutschland hat Lust, kühne Taten zu vollbringen.”

Die bis 2030 neu zu schaffende Kapazität für die Stromproduktion beträgt nach Schätzungen der Bundesnetzagentur sowie der Energie-Denkfabrik Agora Energiewende rund 250 Gigawatt. Treiber ist dabei nicht nur das Wegfallen von klimaschädlicher und Atomenergie, sondern auch, dass mit einem um ein Drittel höheren Bedarf gerechnet werden muss, weil Elektrizität Verbrennermotoren, Gasthermen oder Ölheizungen ersetzt.

Der Weg ist lang und steinig

Um das schiere Ausmass ins rechte Licht zu rücken, hilft erneut ein Vergleich: Die zusätzlichen Kapazitäten könnten den heutigen Bedarf der Haushalte aller 448 Millionen Bewohner der Europäischen Union abdecken. Die neuen Anlagen werden zum einen auf erneuerbaren Energien beruhen, zum anderen werden es Gaswerke jener Bauart sein, die eines Tages auch mit Wasserstoff betrieben werden können.

Der Weg dorthin ist lang und steinig. Diese Woche kündigte die Bundsregierung Ausschreibungen für neue Gaskraftwerke an, die etwa ein Zehntel dieser Kapazität ausmachen. Und bislang konnte sich der Ausbau eines einzelnen Windkraftwerks bis zu sieben Jahre hinziehen, bis Bürokratie und klagende Anrainer überwunden sind.

Die am Freitag verkündeten Pläne der BASF, wegen der Belastungen durch die Energiekrise 2.600 Arbeitsplätze abzubauen, zeigen die Dringlichkeit. Der deutsche Chemiegigant ist in der zweiten Jahreshälfte in die Verlustzone gerutscht — vor allem wegen Milliardenabschreibungen aufgrund von Krieg und Sanktionen, doch Konzernchef Martin Brudermüller verwies auch auf den neuen Faktor Energie.

Das Dilemma besteht darin, dass die Politik vorgibt, aus bestimmten Energiequellen auszusteigen, ohne einen klaren Pfad für deren Ersatz zu definieren. Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke werden bis Mitte April endgültig abgeschaltet. Der Ausstieg aus der Kohle soll jetzt schon 2030 erfolgen — früher als geplant. Und beim Gas fällt bekanntlich der mit Abstand wichtigste und billigste Lieferant weg — wobei hier immerhin mit der rasanten Umstellung auf Flüssiggas ein Versorgungsengpass für die heimische Industrie abgewendet wurde, wenn auch zu einem hohen Preis.

Elektroautos, Wärmepumpen und Elektrolyseure brauchen Energie

Doch es fallen eben nicht nur wichtige Energiequellen künftig weg, es kommen dafür auch große neue Energieverbraucher hinzu. Elektroautos, Wärmepumpen und Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff werden den Bedarf bis 2030 um 33 Prozent auf rund 750 Terawattstunden erhöhen, schätzt die Bundesregierung.

Scholz und Habeck zeigen zwar den politischen Willen, die Energiewende zu vollziehen, aber der Privatsektor muss auch mitspielen und beispielsweise tonnenweise Stahl produzieren, der für die Umstellung benötigt wird, wie Lisa Fischer aufzeigt, eine Expertin von der Energie-Denkfabrik E3G.

Ausserdem ist nach wie vor das Problem ungelöst, wie Strom in ausreichenden Mengen produziert werden soll, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Derzeit setzt Berlin darauf, eine Flotte neuer Gaskraftwerke zu bauen, die später auf Wasserstoff umgestellt werden können. Doch es ist nicht einfach Investoren zu finden, die bereit sind solche kostspieligen Projekte zu finanzieren.

“Unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist nicht mit ausreichend Investitionen zu rechnen”, meint die Wirtschaftsweise und Energieexpertin Veronika Grimm und verweist auf die hohe Unsicherheit sowohl auf den Energiemärkten als auch bei der Regulierung. “Private Investitionen wird es nur in großem Umfang geben, wenn die Überarbeitung des Strommarktdesign in Europa hier klare Leitplanken schafft.”

Verdoppelung des Netzes

Der Ansatz der Bundesregierung ist es hier, den Strommarkt auf eine fundamental andere Grundlage zu stellen. Eine Option wären sogenannte “Kapazitätsmärkte”, die es in Großbritannien bereits gibt und bei denen die Erzeuger nach Verfügbarkeit und nicht nur nach Leistung bezahlt werden. Damit werden Anreize für wasserstofftaugliche Gaskraftwerke geschaffen, auch wenn diese vorwiegend in den dunklen, stillen Wintermonaten anspringen würden, in denen die erneuerbaren Energien wenig produzieren, außerhalb dieser Zeiten aber weniger Einnahmen erzielen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass der Ökostrom, von dem viel in den ländlichen Küstenregionen im Norden erzeugt wird, zu Verbrauchern und Betrieben im stärker industriellen Süden gelangt. Das deutsche Stromnetz wird sich bis 2030 verdoppeln müssen, meint Eon-Chef Leonhard Birnbaum, der etwa 800.000 Kilometer des deutschen Verteilungsnetzes betreibt.

Trotz dieser Probleme hat Deutschland noch Zeit, um die Probleme zu lösen und die richtigen Bedingungen zu schaffen. Aber getrödelt werden darf jetzt nicht. “Klar ist: es muss schnell umgesteuert werden und die Transformation zur Klimaneutralität beschleunigt werden”, meint die Wirtschaftsweise Grimm.

 

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