Cash. Herr Frank, besteht die Gefahr einer Energiekrise für die Schweiz?
Michael Frank: Die Gefahr ist real, und sie ist gross. Der Ukraine-Krieg hat die Situation komplett verändert. Gaslieferungen nach Europa sind völlig ungewiss. Hinzu kommen bestehende Faktoren, die einen grossen Einfluss haben, die wir nicht beeinflussen können, wie das Wetter. In Frankreich ist zudem die Hälfte der Atomkraftwerke ausser Betrieb, und das wird sich nach heutiger Einschätzung bis zum Winter kaum ändern.
Keine gute Ausgangslage. Könnte die Situation noch schlimmer sein?
Allerdings, es könnte im Winter noch das eine oder andere Kraftwerk im In- oder Ausland aussteigen. Ein weiteres Damoklesschwert, das über uns schwebt, sind Cyberattacken. Wir wissen nicht, ob solche kommen und Netze oder Kraftwerke im In- und Ausland lahmgelegt werden. Das wäre ein ungeniessbarer Cocktail.
Haben Sie so etwas schon erlebt?
Eine Situation mit einem so grossen und realen Risiko gab es meines Wissens zumindest in den letzten 60 Jahren nicht. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Daher sollen sich Unternehmen und Private Gedanken machen hinsichtlich ihres Beitrags, falls es zu einer Strommangellage kommt.
Gibt es trotzdem vorbereitete Strategien in der Schublade?
Es gibt Konzepte mit konkreten Massnahmen, die stufenweise zum Einsatz kommen – immer zuerst die mildeste, dann, wenn nötig, einschneidendere. Dazu zählen neben freiwilligen Sparappellen und Verbrauchseinschränkungen auch allfällige Kontingentierungen und Netzabschaltungen.
Wie bitte?
Für alle Massnahmen liegen konkrete Umsetzungspläne vor. Auch wenn der Bundesrat Netzabschaltungen anordnet, wissen die Verteilnetzbetreiber, wie sie vorgehen müssen. Diese Pläne sind jedoch aus Sicherheitsüberlegungen nicht öffentlich.
Sind Schweizer Firmen auf die Krise ausreichend vorbereitet?
Wir haben im September 2021 an die Grossverbraucher appelliert, sich auf Kontingentierungen vorzubereiten. Krisenvorbereitung liegt in der Eigenverantwortung der Unternehmen. Wir stellen heute fest, dass die Botschaft angekommen ist. Wir führen mit zahlreichen Wirtschaftsverbänden Schulungen durch. Die Resonanz ist positiv.
Michael Frank (59) ist seit elf Jahren Direktor des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE). Die über 400 Mitglieder produzieren mehr als 90 Prozent des Schweizer Stroms.
Dieser Artikel erschien zuerst in der "Bilanz" unter dem Titel: "Stromkapitän Michael Frank: 'Die Gefahr ist real, und sie ist gross'".