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Der Tunnelblick am Grimsel schadet

NZZ. Wie kann man für einen forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien und den Abbau der Auslandabhängigkeit sein und gleichzeitig ein Projekt bekämpfen, das die Erreichung dieser Ziele ermöglicht? Scheitert das Projekt, dann hängt die erste Etappe der neusten Energieoffensive des Bundes buchstäblich in der Luft. Das Wallis ist der grösste Produzent von Strom aus Wasser; bald soll auch der Solarexpress zusätzlichen Strom aus dem Südwestkanton liefern. Die Offensive des Parlaments ist zwar erfreulich, droht aber wegen fehlender alpenquerender Netzkapazitäten zu verpuffen. Die Abschaltung der AKW Mitte der 2030er Jahre würde diesen Engpass noch akzentuieren.

Bereits heute können Turbinen im Wallis nicht unter Volllast laufen und müssen zeitweise sogar abgeschaltet werden, weil das Netz zu schwach ist, um den Strom ins Mittelland zu befördern. Mit der neuen Höchstspannungsleitung Chamoson–Chippis wurde zwar letzten Herbst nach 36 Jahren Realisierungszeit eine Lücke geschlossen. Der Engpass über die Alpen ist aber nicht beseitigt: Angesichts der enormen Realisierungszeiten ist nicht absehbar, ob und bis wann die zwei alpenüberquerenden Höchstspannungsleitungen (Gemmi und Grimsel) auf 380 V aufgerüstet werden können. Hier bietet sich der multifunktionale Grimseltunnel als optimaler Ausweg an: Allein dieses Projekt kann in absehbarer Zeit realisiert werden für einen Betrag, der bereits nach dem ersten Jahr die volkswirtschaftlichen Kosten einspielen würde – vom Abbau der Auslandabhängigkeit gar nicht zu sprechen. Dank langjähriger Vorbereitung, umfassenden geologischen Abklärungen sowie zwei verbindlichen Offertausschreibungen ist die Kostenschätzung in der Höhe von 660 Millionen Franken äusserst solide. Und einen wesentlichen Anteil der Kosten würde Swissgrid übernehmen.

Experten bestätigen die Prognosen bezüglich Kosten und Geologie. Tatsächlich ist der Grimselgranit dank den bereits vorhandenen rund 200 km Tunnel (Kraftwerke, Transitgas) bestens bekannt. Mit Überraschungen ist nicht zu rechnen. In sechs bis sieben Jahren könnte das Projekt realisiert werden. Das Einspracherisiko ist nahe bei null. Neben dem Oberwallis und dem Haslital, acht Kantonen und der Tourismusbranche steht auch der Landschaftsschutz dahinter. Allerdings muss der Tunnel integral gebaut werden – mit der Bahn.

Angesichts der grossen Ausbaupläne der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) an der Trift, am Oberaar- und am Grimselsee sowie weiterer Belastungen würde eine reine Erdverkabelung der Höchstspannungsleitung die Akzeptanz des Projekts erheblich schmälern. Beschwerden würden den Bau verzögern oder gar verunmöglichen. Der neue Stromfluss aus Walliser Speicherseen, Solar- und Windanlagen würde sich am Alpenkamm stauen.

Verkehrspolitisch gibt es Projekte in den grossen Agglomerationen, die eine weit grössere Bevölkerungsgruppe betreffen, jedoch an technische und verfahrensrechtliche Grenzen stossen. Die Zeitpläne und die Kostenbudgets in Milliardenhöhe werden regelmässig nach oben korrigiert. Die Dimensionen des Grimseltunnels sind um einiges bescheidener, die zeitlichen, geologischen und finanziellen Risiken ebenfalls. Die Bedeutung für die gegenwärtige und künftige schweizerische Stromversorgung ist hingegen ungleich grösser. Denjenigen, die das Projekt als weiteres Loch in einem verkehrspolitischen Wunderland kritisieren, ist zu wünschen, dass sie sich zeitnahe von energiepolitischen Wolkenschlössern verabschieden.

Gerhard Fischer ist Präsident der IG Grimseltunnel.

Quelle: NZZ

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